Der Pietismus des 18. Jahrhunderts gilt nicht nur als religiöse, sondern auch als politisch-soziale Reformbewegung, die sich auf unterschiedlichste Bereiche der frühneuzeitlichen Gesellschaft auswirkte. Auch für die Medizin wurde und wird behauptet, dass sie vom Pietismus beeinflusst und verändert wurde. Diese These wird in der vorliegenden Studie am Beispiel des Halleschen Pietismus und dessen institutionellem Zentrum, den Franckeschen Anstalten in Halle, überprüft. Dazu wird das Konzept einer "pietistischen Medizin" abgegrenzt sowie dessen Umsetzung in individuelles und staatliches Handeln auf unterschiedlichen Ebenen untersucht. Im Mittelpunkt stehen der Umgang mit Kranken im Waisenhaus und in den Schulen der Franckeschen Anstalten, die Auswirkungen der Anstalten und des Pietismus auf das städtische Gesundheitswesen in Halle sowie die möglicherweise vom Pietismus beeinflusste Gesundheitspolitik des brandenburg-preußischen Staates in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts. Dabei zeigt sich, dass die "pietistische Medizin" auf allen untersuchten Ebenen eine Ziel- und Wunschvorstellung blieb, deren praktische Umsetzung auf erhebliche Schwierigkeiten stieß.